KUNST im blauen haus





Gudrun Sailer - Lina


Gudrun Sailer - Im Gespräch


Ulrich Kellermann - Ohne Titel


Ulrich Kellermann - Ohne Titel



  27.10. – 15.12.2013

WELTENBLICK
Gudrun Sailer, Plastik und Ulrich Kellermann, Malerei

Am Sonntag, dem 27. Oktober 2013 sind seit der ersten Ausstellung "Ost trifft Nord" der Werkstattgalerie KUNST im blauen haus zehn Jahre, zehn Tage und eine Woche vergangen. Es ist der Tag, an dem die Ausstellung "Weltenblick" mit Keramiken von Gudrun Sailer und Malerei von Gerhard Kellermann eröffnet wurde. Den Titel "Weltenblick" haben die beiden Künstler mitgebracht. "Weltenblick sagt," so formulierte es Kellermann, "dass diese Ausstellung es der Besucherin und dem Besucher ermöglicht, einen Blick in die Welt der Gudrun Sailer und auch in die Welt des Ulrich Kellermann zu werfen." Dies ist ein präziser Ausstellungstitel, denn in der Tat öffnet sich der Blick auf zwei Welten, die in der Ausstellung gemeinsam in einen Blick genommen werden können.

Es sind zwei Welten, die hier konstrastierend aufeinander treffen.

Gudrun Sailers Terrakotta-Skulpturen (genau genommen sollte es Plastiken heißen, aber diese Begrifflichkeit ist im Wandel) sind Zeugnisse ihres Blicks auf die Mitmenschen, auf den Menschen. Es gibt einzlene Figuren. "Wenn mir kein Titel einfällt, dann nenne ich sie nach einem Menschen, den ich mag", sagt Sailer. So ist in Weltenblick "Lina" zu Besuch.

Wie an allen Arbeiten Sailers sehen wir an Lina wie es dieser Künstlerin gelingt, figürlichen Realismus und gestalterische Abstraktion in Balance zu bringen. Als sie 2009 das erste Mal im blauen haus ausstellte (mit Gerd Kanz) hieß die Ausstellung "das Rauhe wagen". Sailer ist beim Rauhen geblieben. "Die Leute sagen: da ist Gertraud Möhwald sichtbar. Damit kann ich gut leben. Möhwald hat mich geprägt." Es ist aber mittlerweile Sailer sichtbar. Und zwar folgendermaßen: wir kennen alle das schöne Wolkenbilderschauenspiel. Ein Schaf, ein Löwe, eine römischer Kaiser ziehen über unseren Köpfen im Blau dahin. Wir vermögen es, mit unserer Einbildungskraft Bilder in die Welt hineinzusehen, die in einer abstrakt katergorialen Klassifizierung der Welt dort nicht existieren können: eine Wolke ist eine Wolke und kein Schaf. Sailer ist die Künstlerin, die es versteht, aus Tonklumpen Figuren zu schaffen, die den Betrachter zum Terrakottabilderschauenspiel geradezu zwingen. Und dies in mindestens dreierlei Form. Erstens gelingt es Sailer, auf der Grenze zwischen Realismus im Sinne einer exakten Nachbildung des Realen und der Brechung dieses Realen ins Abstrakte zu tanzen. Sie arbeitet mit Platten, baut ihre Figuren aus groben Teilen auf. Sie läßt dies sichtbar. Aber stets haben ihre Figuren auch Elemente der absolut präzisen bildnerischen Wiedergabe der von Sailer wahrgenommenen Realität. Sailer gelingt es, dem aufmerksamen Betrachter Brücken zu bauen, die Brüche und Schrunden, das Rauhe zu überschreiten und das wahrhaft Wahrgenommene, Schöne, das dieses Rauhe umschließt, selbst zu erschauen.

Die Gestalt der offenbarten Essenz menschlicher Begegnung in Zweier- oder Dreierbegegnungen im Moment, in Haltung und Geste macht eine weitere Dimension der Arbeit Sailers aus. In "Im Gespräch" ist der Gesprächspartner abwesend aber die Plastik macht seine Worte hörbar, das reflektierende Lauschen sichtbar. "Zweisam" zeigt ein Paar, dessen vielschichtige Begnung in Bewegung evident gemacht ist. Selbst eine Dreisamkeit gelingt Sailer in Spannung vor Augen zu führen.
Durch die Begegnung mit der Farbigkeit der Arbeiten Kellermanns beginnt Sailer nun Farbigkeit in ihre Skulpturen zu bringen. "Ich bin fasziniert von der Farbigkeit. Aber so richtig mich trauen, sie einzubringen, das tue ich noch nicht. So kommt es, dass ich manche Figuren vier, fünfmal brenne, um mit neuer Engobe die einstweilen mir noch nicht stimmig erscheinende Farbikeit zu korrigieren. Aber hier und dort tritt sie schon hervor."

Hier begegnet sich die Welt Sailers mit der Kellermanns. Wenn Sailer aus dem konkret Geschauten in die ins Abstrakte offene Figürlichkeit hinenarbeitet, dann scheint der Weg Kellermanns ein umgekehrter zu sein. "Ich arbeite aus der leeren Leinwand heraus.", sagt er. Zur Malerei kam er als über zwanzigjähriger, bereits im Berufsleben stehender Mensch. "Ich habe einfach angefangen. Mit Ölfarbe auf Pergament. Es hat mir schlicht gefallen." Aus der Entdeckung der Malerei als eigenem Weg wurde ein Studium an der Hochschule der bildenden Künste, München, bei Professor Rudi Tröger. Kellermanns Bilder sind alle in Öl auf Leinwand gemalt. Es sind in der Regel starke Farben. Wo und wenn es zu schön zu werden droht, setzt Kellermann Schwarz ein. Dieses Schwarz zerstört die Bildkomposition aber in keinem Fall, es gibt ihr das Gleichgewicht.

Es ist müßig, es ist auch nicht die Fähigkeit oder das Interesse der Ausstellungsmacher im blauen haus künstlerische Arbeiten in einen kunstgeschlichtlichen Kontext oder in Schulen einzuteilen. Spannender ist es, genauer hinzuschauen, was für Werkgruppen oder Themen der Betrachterin entgegentreten. Im Falle von Weltenblick scheinen es mindestens drei. Es sind zwei Bilder zu sehen, die offensichtlich als Landschaften erkennbar sind.

Bevor jedoch auf diese eingegangen werden soll, sei ein Hinweis auf einen Kontrast in dieser Ausstellung erlaubt. Sailer liebt es, ihren Arbeiten Titel zu geben. Kellermann läßt alle seine Arbeiten ohne Titel. "Ich möchte die Betrachterin nicht durch einen Titel einengen oder auf eine Spur setzen." So ist man bereits zögerlich, die Landschaften Landschaften zu nennen. Aber es sind welche und was für welche!

Kellermanns Arbeiten zeugen von seinem Verständnis für, seine Einsicht in Form, Farbe und Licht. Er arbeitet auch als Beleuchter am Hebbeltheater am Ufer in Berlin, oft in Dunkelheit. Es mag dies eine triviale Erklärung für die Leuchtkraft und Freudigkeit seiner Bilder sein, dennoch: sie strahlen.

Eine weitere Gruppe der zehn Bilder möchte ich Stadtschaften nennen. Aber das ist schon zu einengend, denke ich. Diese Bilder zeichnen sich durch die Präsenz schwarzer Rechtecke aus. Allerdings sind diese Rechtecke – man mag sie als Häuser (es sind keine Häuser wie Magrittes Pfeife keine Pfeife ist) sehen – in eine Farbigkeit eingebettet, die weit über unsere Alltagswahrnehmung der grauen Stadt hinausgeht.

Es ist die Präsenz anderer Dimensionen, das Zitat gesehener Bilder, die Kellermann aus dem Schaffen aus der leeren Leinwand uns vor Augen stellt.

Eine weitere Gruppe von Bildern mag ich Seelenschaften nennen. Hier ist die volle Bewegung im Gange, es treten scheinbar Figuren auf, es werden Schatten geworfen, die heller sind als der schattenwerfende Gegenstand. Es ist die Momentaufnahme einer polyphonen Synästhesie, um es mal – zugegebenermaßen – vollmunding auszudrücken.

Schlußendlich gibt es eine weitere Werkgruppe, die ich Farbschaften nennen mag. Kompositionen kann man sie auch nennen.

Kellermann zeigt, was die Einschätzung der Wertigkeit künstlerischen Schaffens angeht, eine wohltuende Nüchternheit: "Ich male Bilder. Ich mache das so gut ich kann. Ob das besser ist als die Arbeit eines Bäckers, der gute Brötchen bäckt und sich an den Großbäckereien abarbeitet – das vermag ich nicht zu sagen. Ich bezweifele es."

Diese Weltenblicke können repräsentativ für alle Ausstellungen der letzten 10 Jahre, zehn einer Woche stehen: dankbar sind Galeristin und Partner für diese Weltenblicke. Dankbar den Künstlern, dankbar den Besuchern, dankbar der Welt und dem Dasein.

Frankfurt, Sonntag, den 27. Oktober 2013
J. Priesemann